Ungleich lange Spiesse für politische Werbung Online und Offline
Die Parteien rüsten ihre Kommunikations-Cockpits mit allerlei Digital Gadgets auf und nutzen Datenbanken, SocialMatch, Programmatic und SocialAds um Wähler zu beinflussen. Inzwischen wird Online viel Geld für Wahlen und Abstimmungen investiert. Während politische Werbung in TV und Radio verboten ist, herrscht im Online und im SocialWeb noch die grenzen- und regellose Freitheit. Wie lange schaut der Bund diesem Treiben noch zu?

Online Tools als Wunderwaffe im Wahlkampf
Schon seit Obama und spätestens seit Trump, ist Online- und SocialWeb ein Thema in der Politik. Nicht zuletzt weil sich Cambridge Analytica damit gebrüstet hatte, Trump zum Wahlsieg mittels Facebook Daten und den eignen Tools gewonnen zu haben. Diese Behauptungen blieben bis heute ohne Belege und die Wirksamkeit wird von Fachleuten stark angezweifelt. Die Parteien lechzen aber seither auf Instrumente um einen automatisierten personalisierten Wahlkampf zu betreiben.
Personalisiert überzeugen und aktivieren
Wunderbar die Welt, in welcher Parteien mittels Micro-Targeting jedem Bürger die Botschaft zukommen lassen können, welche am besten dem individuellen Mindset (oder Vorurteil) gerecht wird. «Wahrheit» und «Fakten» sind dabei weniger gefragt. Interaktion und Mobilisierung sind das Ziel. Wer mehr investieren kann, gewinnt mehr Stimmen. Dass dies medienpolitisch heikel ist, steht ausser Frage. Wenn nun Parteien noch SocialMatch einsetzen, indem sie ihre gesammelten Adressen mit Tools wie Nationbuilder oder Facebook teilen um die Adressaten auch Online direkt ansprechen zu können, verletzen sie damit Schweizer Datenschutzgesetze. Aber auch hier gilt, wo kein Kläger da kein Richter.
Politische Werbung auf TV und Radio verboten – Online aber erlaubt?
Die Gefahr welche vom Einsatz der Werbung als Mittel in der Politik ausgeht, wurde in der Schweiz früh erkannt und wird u.a. im Artikel 10 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) geregelt. Politische Werbung ist im Fernsehen und Radio grundsätzlich verboten. 2013 hat die SVP durch den Zuger Nationalrat Thomas Aeschi versucht dieses Verbot aufzuheben. Der Bundesrat hat eine Aufhebung des Verbotes abgelehnt, da das Verbot primär verhindern soll, dass die demokratische Willensbildung durch wirtschaftlich mächtige Akteure einseitig beeinflusst werden kann. Dass die demokratische Willensbildung inzwischen auch zu einem wesentlichen Teil online geschieht, scheint dem Bundesrat nicht klar zu sein.
Politischen Waffenschein für Digital AdTech Tools gefordert
Angesichts der Veränderung der demokratischen Willensbildung zu Gunsten von Online und dem SocialWeb herrscht diesbezüglich dringender Regulierungsbedarf. Konsequent wäre ein Verbot der Nutzung dieser Tools für politische Werbung und deren Akteure. In Frankreich wurde Daten-Crawling auf Social Media und Tools wie Social Match bei der letzten Präsidentschaftswahl verboten. In der digitalisierten Medienwelt wöre ein Waffenschein für Digtal AdTech Tools für Parteien zu empfehlen. Der Einsatz muss klar und einheitlich geregelt, transparent gemacht und beschränkt werden.
Kein Freund der Regulierung
Die Schweiz tut sich schwer mit der Regulierung des Internets. Vorwiegend die bürgerlichen Parteien plädieren für Freiheit und wenig Einmischung in «öffentliche Medienplätze Online». Dies wurde an der Podiumsdiskussion der Neuen Helvetischen Gesellschaft NHG in Zürich deutlich, wo Lukas Reimann (SVP), Christoph Baumann (Jungfreisinnige), Julia Meier (Operation Libero) und Adrienne Fichter (Autorin, Socialmedia Dozentin) über die Bedeutung von Socialmedia in der Politik diskutieren.
Während Christoph Bauman (2. von links) die kostengünstige Variante Mitglieder zu werben und über ihre Aktivitäten zu informieren den klassischen (z.B. Plakat, Flyer, persönlicher Brief) klar vorzieht, sieht der SVP Nationalrat Lukas Reimann (ganz rechts im Bild) die Kraft der klassischen Medien, z.B. eines Plakates am Zürcher Hauptbahnhof, als ungebrochen. Zumindest wenn es um Wahlen und Abstimmungen geht. «Für die Suche nach freiwilligen Helfern für einen Infostand in Wil, da ist Facebook aber deutlich effizienter» fügt Lukas Reimann an.
Für Julia Meier von der Operation Libero (rechts im Bild) war Facebook bisher praktisch der einzige finanzierbare Weg ihre Anliegen zur Diskussion zu stellen. Adrienne Fichter (links im Bild) warnte als Socialmedia Dozentin vor der Euphorie und verlangte, dass in Zeiten der zielgruppenspezifisch ausgespielten Botschaften eine Pflicht zur vollständigen Dokumentation eingeführt wird, da sonst die öffentliche Kontrolle und Transparenz nicht mehr gewährleistet sei. Sie unterstützt darum die Aktion #PolitikAds um Politik Kampagnen publik zu machen und wieder für Transparenz zu sorgen.
Mediabeobachter: Es ist bedenklich wie unterschiedlich lang die Spiesse für klassische Medien und Online/SocialWeb in der Schweiz bezüglich politischer Werbung und Einflussnahme sind. Angesichts der Tragweite ist schnelles Handeln gefordert.
Während TV und Radio politische Werbung untersagt wird, sind diese Online, wo es deutlich geringere Mittel für die Beeinflussung grosser Teile der Bevölkerung braucht, erlaubt. Auch im Sinne der Wahrung der Demokratie wäre eine Ausweitung des Verbotes der politischen Werbung auf Online und Socialmedia das Naheliegendste. Ein Einigung auf einen "Waffenschein für Digital AdTech und BigData" für Parteien und politische Kampagnen wäre ein nächster Schritt in konvergenten Systemen und personalisierten Medien.