Verändert die Digitalisierung alles?

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Die Headlines reissen nicht ab: Digitalisierung, Tablet frisst Tageszeitung, 92% nutzen mobiles Internet, die Zeitung ist tot, Streaming überholt klassisches TV, Snapchat überholt Facebook, Social-Push löst Titelseite/Homepage ab. Was hat sich geändert? Eigentlich nicht so viel.

Verändert die Digitalisierung alles?

Alle reden darüber, aber nur wenige verstehen was genau geschieht. Die kurzfristen Veränderungen werden massiv überschätzt, während langsame aber grosse Umwälzungen unterschätzt werden. In aller Hektik werden neue Pläne geschmiedet, um möglichst nicht von den beiden inflationären Buzzwords Digitalisierung oder noch schlimmer der Disruption überrollt zu werden. Aber wer zu schnell reagiert, verschliesst sich der Chance überlegt zu handeln.

Ja die Digitalisierung verändert vieles. Sie erschliesst neue Möglichkeiten, bietet Gelegenheiten sich neue Geschäftsfelder zu erschliessen und skaliert im besten Fall sehr schön, weil sie Grenzen (meist örtliche) sprengt. In der Medienbranche führt die Medienkonvergenz zum Kompetenzgerangel der bisher durch die Verbreitungstechnik streng getrennten Medienanbieter und deren Märkte. Die Bedürfnisse der Menschen welche digitalisierte Medien nutzen sind weitgehend noch die gleichen. Sie verändern ihre Gewohnheiten auch viel langsamer, als man dies gemeinhin annimmt.

Beispiel Medienkonsum beim Berufspendeln

Sie wundern sich, dass beim Pendeln alle rundherum sich auf ihre Smartphone konzentrieren und nichts vom Umfeld mitkriegen? Warum? Es liegt auf der Hand - wer zum gefühlt zigtausendsten Mal zur Arbeit fährt, wird kaum am Fenster Ausschau nach Veränderungen halten. Die Zeit ist kostbar und wird dazu genutzt, seinen Wissensdurst zu löschen.

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Das war zu Grossvaters Zeiten so und ist heute kaum anders. Das Medium hat sich geändert. Grosse Umbrüche sind erst zu erwarten, wenn Heimarbeitsplätze im grossen Stil das Pendeln ablösen werden. Der smarte Verleger hat dies erkannt und schon vor 15 Jahren Pendlerzeitungen, Online Plattformen, und als das iPhone kam, eine App lanciert, welche dem Zeitgeist und den technischen Möglichkeiten gerecht werden (ja zum Beispiel Tamedia mit 20 Minuten).

Intelligent abgestimmt und unabhängig

Medienanbeiter welche ihre Tools intelligent aufeinander abstimmen, müssen auch nicht beim Konkurrenten Facebook oder Google Traffic teuer einkaufen - sie können diese Option aber nutzen, sofern sie den ROI steigern. Die meisten Zeitungsportale beziehen heute 30% ihrer Leser durch Social Media - Instant Artikel welche sie in Facebook platzieren und dafür je nach Werbedeal mit bis zu 30% der Werbeeinnahmen bezahlen. Der Social-Push umgeht aber auch die Paywalls der Online-Zeitungen. Dass dies wiederum den bezahlenden Abonennten nicht gefällt, ist klar. Falls die Social-Push Quote noch weiter steigt, wird auch die Abhängigkeit steigen und Preisaufschläge oder Aenderungen im Angebot von Facebook werden dann einfach geschluckt werden müssen. Wer weiter in direkte Touchpoints zu den Usern investiert bleibt auch zukünftig unabhängig.

Streaming frisst klassisches TV

Das Streaming von Bewegtbildinhalten nimmt zu, da die dazu nötigen Bandbreiten und Geräte immer besser werden. Die TV Stationen und Werbevermarkter sehen diesem Trend noch ziemlich gelassen entgegen. Online wird am meisten klassisches TV geschaut (oder eben gestreamt). Somit werden Laptops, Tablets und Smartphones zu Zweit- und Drittfernsehern. Der Zuschauer ist nicht verloren - sondern hat, wie bei der Zeitung, einfach die Transporttechnologie geändert. Er nutzt das Medium nun auch unterwegs (sofern die Bandbreite auch mitmacht) und nimmt Werbe-PreRolls zähneknirschend in Kauf - auch wenn er dadurch eine zusätzliche Werbe-Kontaktüberdosis erhält (die meisten können mit den Basic-Services die TV-Werbeblöcke nicht überspulen).

Die wirklich ernstzunehmende Konkurrenz heisst Premium-Streaming wie Netstream. Diese Sevices sind auch nicht wirklich neu - Netflix gibt es bereits seit 20 Jahren. Teleclub setzte auf ein ähnliches Businessmodell (Abo statt TV Werbung). Was Netstream aber besser verstanden hat, ist zielgruppenkonforme Angebote zu entwickeln: exklusiver Content (House of Cards, Narcos) und TV-Serien, welche man sich (sofern man will) alle nacheinander anschauen kann. Dies entspricht dem Zeitgeist und den technischen Möglichkeiten. Den Usern zuhören hilft. Die Gefahr für Netflix und ähnliche Dienste heisst Netzneutralität, also die nicht diskriminierende Uebertragung von Daten im Internet. 

Keine Angst vor Veränderungen

Testen, ausprobieren, mutig und offen sein, sauber analysieren und überlegtes strategisches Handeln sind die Erfolgsfaktoren für Digitalisierungs-Projekte. Vielfach verzerren kurzfristige Hypes die Sicht auf nachhaltige Umwälzungen. Saubere strategische Projektarbeit unter Einbezug externer Fachleute, welche ohne Tunnelblick oder Unternehmens-Believes helfen, den Weg in die Zukunft zu planen, das ist die Lösung.

Oft verschleiern Headlines, Trendumfragen und Online-Marktforschung den Blick auf die Fakten. Bei den Medien ist meist nicht das "ob", sondern vielmehr  wie oft, wie, wann und wo die Nutzung stattfindet, entscheidend. Dies gilt vorallem auch mit Blick auf den Werbemarkt - nur wer positive und messbare Effekte auf den Return on Investment liefert, wird auf Dauer gebucht.

 (Manche Dinge dauern eben etwas länger: self driving car 1950)

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Über den Autor:

Sandro Prezzi

Sandro Prezzi

Experte für Media, Digitalisierung und Integrierte Kommunikation.

Seit 2007 kommentiert Sandro Prezzi Entwicklungen, Trends und News der Schweizer Werbewirtschaft. Seine Hauptthemen sind Media, Integrierte Kommunikation, Medien-Forschung, Digitalisierung und Online Marketing.

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Kontakt: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it.

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